Deine Liebe ist wie Gras

Gestern fuhr ich um 14:30 Uhr nach Rotenburg in die Kirche. Nee, ich bin nicht zum Hardcore-Christen geworden, sondern Birgit und Andreas haben sich getraut. Vor der Kirche standen wir Spalier. Die Männer links, die Frauen rechts. Und als das Hochzeitspaar durchgegangen war, löste sich das Spalier von hinten nach vorne auf und alle Leute um mich herum waren als Paare dort, sie gingen händchenhaltend in die Kirche während ich alleine in das Haus Gottes eintrat… Es kam mir wie ein Spießrutenlauf vor und so lenkte ich mich mit einigen Gedanken ab, etwa „Gehen schwule und lesbische Paare auch händchenhaltend in die Kirche? Und was sagt der Pfaffe dazu?“ oder „Sex ist ein evolutionsbiologischer Vorteil… It works!

Die Predigt selbst war äußerst gelungen. Ich habe noch nie jemand anderen meine Gedanken zur Liebe so gut formuliert aussprechen hören.

Als Single macht man sich ja schon einige Gedanken, ob bei einem selber so alles richtig ist. Man fragt sich, ob es an der Erfahrung liegt (meine „Schicksalsfrau“ hatte mich damals mit den Worten „Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Aber ich kann nicht mit dir zusammen sein, weil ich dich nicht verlieren möchte.“ abgespeist [wobei abgespeist das falsche Wort ist: Speisen tut man vielleicht zwei Stunden, das mit ihr dauerte 2 Jahre] und meine Exfreundin zog eine „Liaison“ mit einem Botswaner vor) und einer daraus resultierenden Abneigung sich erneut so demütigen zu lassen. Und während der Pfaffe das Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief vorlas
Wenn ich in den Sprachen der Menschen und der Engel rede, aber keine Liebe habe, so bin ich ein tönendes Erz geworden oder eine schallende Zimbel.
Und wenn ich Weissagung habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnis weiß und wenn ich allen Glauben habe, so daß ich Berge versetze, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung [der Armen] austeile und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts.

wurde es mir klar: Wenn mich die Liebe trifft, werde ich brennen und all die törichten Dinge wieder tun, die ich jetzt töricht nenne. Das Problem ist: Mich trifft die Liebe nicht mehr. Oder anders formuliert: Ich bin zu wählerisch. Ich weiß, es würde mir nichts bringen auf Teufel komm raus Frauen anzusprechen, One Night Stands zu haben und mich damit rühmen zu können, von so und so vielen Frauen Telefonnummern am Wochenende bekommen zu haben. Die Heiden glaubten, sie wären dem Himmel näher, wenn sie mit einer Frau schlafen. Jesus predigte und lebte die Liebe… Ich frage euch: Was hat sich durchgesetzt?
ACH JA UND:
Geheiligt seien die Skifahrer und schaut die Lilien! :-)

Jaaa… über solche Sachen denke ich nach, während ich in der Kirche sitze, versuche möglichst unauffällig und geräuschlos Kleingeld für die Kollekte aus meinem Portemonnaie zu holen und nun glücklich dasitze, denn das 2 EUR Stück ist griffbereit in meiner Jackentasche gelandet. Dann wird das Lied Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer zum Besten gegeben und der Pfarrer bittet nun darum in die Kollekte nur Scheine zu legen… Man denkt sich „Hach, ist doch für ’ne gute Sache. Wat kost die Welt?“ und versucht nun möglichst unauffällig einen Schein aus seinem Portemonnaie zu nehmen…

Im Ahauser Hof begann nun der gesellige Teil der Hochzeit. Und genau dort war auch mein Problem begründet: Eigentlich kenne ich nur das Brautpaar gut und diejenigen, die ich vom Sehen her kenne, konnte ich an einer Hand abzählen, zudem hatte ich ja mutig (wie ich bin) auf eine Begleitung verzichtet. Meine Befürchtung: Mich würde ein einsamer, langsamer Tod an diesem Abend erleiden.

Neben mir saßen Hans, der zwei befreundete Paare am Tisch hatte und Julia, die mit ihrem Freund da war. Hans unterhielt sich über Dinge, die mich nicht interessierten und Julia und ihr Freund würde ich nicht als Quasselstrippen bezeichnen… Um 21:30 Uhr überlegte ich den Saal zu verlassen, auf’s Schleeßeler Erntefest zu gehen oder einfach nur ins Bett. Weißt du, „People are strange when you’re a stranger“… Leute, die ich vom sehen her kannte, zogen es vor bei ihren Freundinnen zu sitzen oder falls nicht vorhanden sich an Frauen ran zu werfen. Gespräche mit Leuten, die ich nicht kannte, ebbten sehr schnell ab. Ging man zu einer Gruppe, wo man einen kannte, löste sich die Gruppe auf. Und um 21:30 Uhr hatte ich kapituliert, ich hatte versucht Leute kennenzulernen und es ist fehlgeschlagen. Ich nahm ein Bier, setzte mich zu meinen „geschwätzigen“ Sitznachbarn und beobachtete die Leute.

Ich erinnerte mich an Hochzeiten in der Familie, wo ich noch Kind war. Damals dachte ich mir „Warum sind Hochzeiten so lahmarschig? Walzer, Foxtrott usw. Wenn meine Generation später mal Hochzeiten feiert, wird’s ’ne richtige Party!“ Und ich saß da und es hat sich nichts geändert, die gleichen alten Lieder, die gleichen Tanzschritte, die gleichen Bräuche, sogar die Musikgruppe von gestern hatte mein Onkel vor weit über 10 Jahren bereits gebucht. Tjaaa: „My Generation“…

Und dann ging die Party los: Endlich spielte die Gruppe Pop. Ich habe mich noch nie so sehr über ein Lied der Scissor Sisters gefreut. Und nach dem Pop kam der Rock’n’Roll. Und dann ging’s bunt weiter: Endlich wurden die Krawatten gelockert, geschwitzt und der Saal bebte zu TNT von AC/DC. Aber das genialste Lied des Abends war meiner Meinung nach „Bad Boys“… Eine endlos lange, (fast) unplugged Version dieses Songs… äußerst genial! Die Zeit verflog, es wurde Viva Colonia als letztes Lied angekündigt und man dachte: Scheiß auf das Lied, du musst jetzt einfach tanzen! Hätten die Leute so laut in der Kirche gesungen, hätte der Pfaffe noch ein E-Gitarren-Solo hingelegt… Als Zugabe gab’s noch „7 Tage lang“, der Kranz wurde geholt und Birgit und Ändy hatten ihren letzten Tanz: Die Stimmung schwankte von ausgelassener Feierei zum romantisch, knisternde Höhepunkt. Die beste Hochzeit auf der ich bis jetzt war!

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